1. Produktverantwortung (ProdSG) und Produkthaftung (ProdHaftG)

Häufig kauft der Kunde eine Sache (Maschine, Werkzeug usw.) nicht direkt beim Hersteller des Produkts, sondern bei einem Groß- oder Einzelhändler. Sollte das gekaufte Produkt einen Fehler haben und beim Käufer einen Schaden verursachen, stellt sich die Frage, gegen wen der Kunde rechtliche Ansprüche geltend machen kann.


Haftung des Herstellers für Folgeschäden (Personen- und Sachschäden)
aus der Benutzung eines Produkts
durch seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch
infolge eines Fehlers des Erzeugnisses

§ 3 ProdSG: nur sichere Produkte dürfen verkauft werden


Haftung

1. Vertragliche Haftung

Grundlage: Vertrag zwischen A und B

§§ 437 ff BGB (Kaufverträge)
§§ 633 ff BGB (Werkverträge, …)

2. Gesetzliche Haftung

Unabhängig von einem Vertrag

Betrifft erwartbare Sicherheit eines Produkts

Anpruchsgrundlagen:

§ 823 BGB:

Schadensersatzpflicht bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung

§ 1 ProdHaftG:

Verkehrssicherungspflichten

  • Konstruktionsfehler vermeiden
  • Herstellungsfehler vermeiden
  • Gebrauchsanweisungen
  • Zurückrufen von fehlerhaften Produkten
    Haftung bei (nachgewiesener) Fahrlässigkeit

ProdHaftG = Gefährdungshaftung! der bloße Verkauf von Produkten ist ein Risiko Unternehmen haftet wenn ein Fehler des Produktes zu einem Schaden führt.
Mögliche Schäden:

  • Tod; Verletzung einer Person
  • Beschädigung einer Sache (andere Sache als Produkt! + Sache muss hauptsächlich privat genutzt worden sein)

Liegt ein Fehler vor:

  • ja: Haftung
  • streitig: Geschädigter (!) muss den Produktfehler nachweisen

Haftungsausschluss des Herstellers:

  • Hersteller hat Produkt nicht vermarktet
  • Produkt ist fehlerfrei geliefert worden (Fehler durch z.B. falsche Lagerung)
  • Produkt wurde nicht für den Vertrieb hergestellt
  • Produkt wurde nicht im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit hergestellt
  • Produkt wurde nach den gesetzlichen Bestimmungen hergestellt
  • Fehler war nicht vermeidbar

Einschränkungen


WICHTIG!
Weitgefasster Herstellerbegriff: § 4 ProdHaftG z.B. auch Vorprodukte, Eigenmarken,…


BEACHTE:
§ 6 ProdHaftG: Haftungsminderung bei Mitschuld des Geschädigten

Übungsaufgaben

Übungsband - Übung 118

Der Hobbyhandwerker Holubeck kauft sich beim Baumarkt Haus & Hof GmbH eine Küchendunstabzugshaube des Herstellers Wagner. Einige Tage nach dem fachgerechten Anschluss der Dunstabzugshaube kommt es während der Zubereitung des Mittagessens zu einem Küchenbrand. Es stellt sich heraus, dass ein Zulieferteil konstruktionsbedingt fehlerhaft ist und dies der Hersteller auch gewusst hatte. Der Hersteller Wagner hatte aber die betroffenen Geräte nicht zurückgerufen.
Gegen wen hat Holubeck welche Ansprüche?


Merke:

Das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regeln beide die Haftung für Schäden durch fehlerhafte Produkte, aber sie unterscheiden sich in Anwendungsbereich und Voraussetzungen.

1. Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG)

Anwendung:

  • Das ProdHaftG gilt, wenn jemand durch ein fehlerhaftes Produkt einen Personen- oder Sachschaden erleidet.
  • Es ist eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, d. h., der Hersteller haftet auch ohne Verschulden.

Voraussetzungen:

  • Das Produkt war fehlerhaft (nicht die erwartete Sicherheit geboten).
  • Der Fehler hat den Schaden verursacht.
  • Der Geschädigte ist ein Verbraucher oder Dritter (nicht der direkte Vertragspartner).

Schadensersatzumfang:

  • Personenschäden (vollumfänglich).
  • Sachschäden (nur an privaten Gegenständen, ab € 500).
  • Kein Ersatz für reine Vermögensschäden.

2. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Anwendung:

  • Das BGB greift bei vertraglichen Ansprüchen (§§ 433 ff. BGB) oder deliktischen Ansprüchen (§§ 823 ff. BGB).
  • Es erfordert im Gegensatz zum ProdHaftG oft ein Verschulden (außer bei § 823 Abs. 1 BGB mit Gefährdungshaftung).

Wichtige Ansprüche:

  • Vertragliche Haftung (§ 434 BGB):
    • Der Verkäufer haftet für Sachmängel, wenn das Produkt nicht vertragsgemäß ist.
    • Nur der direkte Vertragspartner (Käufer) kann Ansprüche geltend machen.
  • Deliktsrecht (§ 823 BGB):
    • Haftung bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung (z. B. durch Produktfehler).
    • Auch Dritte (nicht nur Vertragspartner) können Ansprüche stellen.

Schadensersatzumfang:

  • Personenschäden, Sachschäden und unter Umständen auch Vermögensschäden.

Zusammenfassung: Wann gilt was?

KriteriumProdHaftGBGB
AnwendungsbereichFehlerhafte ProdukteVertragsverletzung / unerlaubte Handlung
Verschulden erforderlich?Nein (Gefährdungshaftung)Meist ja (außer § 823 Abs. 1)
Wer kann klagen?Jeder Geschädigte (auch Dritte)Vertragspartner oder Geschädigte (Delikt)
SchadensartenPersonen- & Sachschäden (ab € 500)Personen-, Sach- & ggf. Vermögensschäden

Praxistipp:

  • Ein Geschädigter kann oft sowohl aus ProdHaftG als auch aus BGB Ansprüche geltend machen (Anspruchskonkurrenz).
  • Das ProdHaftG ist für Verbraucher vorteilhaft, weil kein Verschulden nachgewiesen werden muss.
  • Das BGB bietet weitergehende Ansprüche, z. B. bei Vertragsverhältnissen oder Vermögensschäden.

Prüfungsaufgabe Frühjahr 2023 - Aufgabe 8

Aufgabe 8

Die Platinen AG hat mangelhafte Platinen zur Steuerung der Ventilatoren an die Ventilatorenbau Hagen GmbH geliefert. Die Ventilatoren werden von der Ventilatorenbau Hagen GmbH unter ihrem Namen vertrieben. Die Platinen sind in einem aufwändigen Prozess aus den Ventilatoren auszubauen und durch neue Platinen zu ersetzen.

a)(6 Punkte) Erläutern Sie, ob die Ventilatorenbau Hagen GmbH als Hersteller der defekten Ventilatoren gilt, wenn diese unter ihrem Namen verkauft werden.

b) (4 Punkte) Beschreiben Sie, ob die Platinen AG die Haftung für die defekten Platinen nach dem Produkthaftungsgesetz übernehmen müsste.

Musterlösung

a) Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG ist, wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Als Hersteller gilt auch die Person, die sich durch die Anbringung seines Namens oder seiner Marke als Hersteller ausgibt. Daher würde die Ventilatorenbau Hagen GmbH als Hersteller gelten.

b) Nach dem Produkthaftungsgesetz ist der Hersteller eines Produktes verpflichtet, dem Geschädigten einen Schaden zu ersetzen, der durch das fehlerhafte Produkt an anderen Sachen entstanden ist. Hier sind jedoch nur die eigenen Platinen mangelhaft, so dass eine Haftung aus dem BGB, nicht jedoch aus dem Produkthaftungsgesetz entsteht.

Ausführliche Antwort in Teilschritten

a) Ist das zweite Unternehmen “Hersteller” im Sinne des ProdHaftG?
Ja, das zweite Unternehmen gilt als Hersteller nach § 4 ProdHaftG.

Begründung:

  • Das ProdHaftG definiert als “Hersteller” nicht nur den eigentlichen Produzenten, sondern auch denjenigen, der ein Produkt unter eigenem Namen oder Marke in Verkehr bringt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG).
  • Das zweite Unternehmen hat das fertige Produkt unter seinem Namen an Endkunden verkauft, auch wenn es die Platinen nur eingebaut hat.
  • Es tritt damit nach außen als Hersteller auf und übernimmt die Haftung für das gesamte Produkt, unabhängig davon, wer die Einzelteile geliefert hat.

Ergebnis
Das zweite Unternehmen haftet gegenüber den Endkunden für Schäden, die durch das gesamte Produkt entstehen – auch wenn der Fehler in den eingebauten Platinen liegt.

b) Muss das erste Unternehmen nach dem ProdHaftG für die defekten Platinen haften?

Grundsätzlich ja, aber mit Einschränkungen:

  • Herstellerhaftung des ersten Unternehmens:
    Das erste Unternehmen ist als Produzent der Platinen Hersteller im Sinne des ProdHaftG (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 ProdHaftG).

  • Es haftet für Schäden, die durch Fehler der Platinen verursacht werden, sofern diese Fehler bereits bei der Lieferung vorlagen.

  • ABER: Das ProdHaftG gilt nur für Personen- oder Sachschäden, nicht für reine Mangelfolgeschäden am Produkt selbst (§ 1 ProdHaftG).

  • Im Fall geht es um den Austausch der Platinen – also um einen Mangel des Produkts selbst (das fertige Gerät muss repariert werden).

  • Solche “Folgeschäden am Produkt selbst” (sog. Weiterfresserschäden) sind nicht vom ProdHaftG erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08).

Ergebnis

  • Nein, das erste Unternehmen haftet nicht nach dem ProdHaftG, weil es hier nur um den Mangel der Platinen selbst geht.

  • Ja, das erste Unternehmen haftet aber nach dem BGB (vertragliche Gewährleistung oder Deliktsrecht), weil es mangelhafte Platinen geliefert hat.

Zusammenfassung der Anspruchsgrundlagen:

FrageAntwort
a) Herstellerstatus des zweiten UnternehmensJa, weil es das Produkt unter eigenem Namen vertrieben hat (§ 4 ProdHaftG).
b) Haftung des ersten Unternehmens nach ProdHaftGNein, da nur Mangelfolgeschaden am Produkt selbst (kein ProdHaftG-Schaden).

Zusatzfrage

Was wäre, wenn die Platinen einen Brand ausgelöst hätten?

Lösung Zusatzfrage

Dann greift das ProdHaftG


Hinweise:

  1. ProdHaftG vs. BGB:

    • Das ProdHaftG ist für Personen- oder Fremdsachschäden relevant (z. B., wenn die Platine einen Brand auslöst und ein Haus beschädigt).
    • Für reine Produktmängel (wie den Austausch der Platinen) greift das BGB:
      • Vertragliche Ansprüche des zweiten Unternehmens gegen das erste (§§ 434, 437 BGB: Mängelgewährleistung).
      • Deliktsrecht (§ 823 BGB), falls das erste Unternehmen den Fehler fahrlässig verursacht hat.
  2. Anspruchskonkurrenz:
    Der Endkunde könnte zwar theoretisch das zweite Unternehmen nach ProdHaftG in Anspruch nehmen (weil es als Hersteller gilt). Dieses könnte sich dann beim ersten Unternehmen über das BGB schadlos halten.